10.12.2013, 14:38
Der kleine Zombie
Inspiriert von einem epischen Zombiegedicht von Jacen
Es war einmal und ist nicht mehr ein kleiner Zombie. Er wankte durch die tote Welt und stöhnte irgendwie gelangweilt vor sich hin, denn ansonsten hatten Zombies nicht viel zu tun. Ab und an erhaschte er den Hauch der Lebenden und folgte ihm, immer in der Hoffnung, dass sein ewiger Hunger nach frischem Fleisch heute gestillt würde. Doch meist vergeblich, die letzten noch lebenden Menschen, die sich auf der Suche nach Lebensmitteln und anderen für sie wichtigen Dingen in die Stadt wagten, hatten inzwischen gelernt, wie sie sich vor den Untoten verstecken und sich gegen sie zur Wehr setzen konnten. Dabei fing alles so gut an, es war noch gar nicht so lange her, obwohl der kleine Zombie kaum sagen konnte, ob es mehr als ein oder zwei Jahre waren. Zeit war inzwischen bedeutungslos für ihn, denn auch seine schäbige alte Seiko hatte er schon in den ersten Tagen des Weltuntergangs zusammen mit seinem linken Unterarm verloren. Das war irgendwo in der Nähe des Busbahnhofs, als der Exodus begann und alle aus der Stadt flüchten wollten. Wohin auch immer, denn die Untoten waren nahezu überall. Sein matschiges Gehirn erinnerte sich nur noch schemenhaft an die Ereignisse, denn meist reichte sein angeschrammtes Gedächtnis nur bis zum letzten Mittagessen.
Vereinzelt aufblitzende Bilder flammten immer wieder auf, wenn er in einer ruhigen Minute – und davon hatte er inzwischen mehr als genug – an irgendeiner Straßenecke stand und leise vor sich hin stöhnte. Im Gegensatz zu den meisten anderen seiner Artgenossen war er lieber allein unterwegs um ausgiebig zu stöhnen und stundenlang ein abgeknicktes Straßenschild anzuglotzen. So ganz verstand er den Herdentrieb seiner Kollegen nicht, denn je mehr Zombies aufeinander trafen, desto weniger Futter blieb für den einzelnen übrig. Allerdings war die Menschenjagd im Rudel weitaus effektiver, das musste er neidlos zugeben. Als einzelner Zombie einen zappelnden und rennenden Menschen zu erwischen war schwierig, doch einige verirrten sich haltlos in den Straßenschluchten und dunklen Kellern der Stadt und oftmals tappten sie vollkommen unbedarft in die ausgebreiteten Arme des kleinen Zombies, auch wenn ihm die Sache mit dem linken Unterarm immer wieder zu schaffen machte. Als Lebender war er Linkshänder gewesen und das führte er nach dem Tode fort, so dass er einfach ständig vergaß, dass seine linke Hand nicht mehr vorhanden war um nach dem Fleisch der Lebenden zu greifen. Eine wirklich blöde und peinliche Situation, die vereinzelt von der Panik befreite Opfer schamlos ausnutzten und links an ihm vorbei huschten. Das waren allerdings Ausnahmefälle, meist gelang es den ängstlich erstarrten Menschen nicht der Klaue und den schnappenden Zähnen des kleinen Zombies zu entkommen. Immerhin hatte er noch alle Zähne, auch wenn ihm ansonsten allmählich die Gliedmaßen und Körperteile abhanden kamen. Nach und nach faulte alles weg, letzte Woche erst hatte er sein rechtes Ohr verloren als er ein wenig missmutig durch die Gegend wankte und an einem Stacheldrahtzaun beim Polizeipräsidium hängen blieb, in dem sich einige Lebende verschanzt hatten. Ein alter Kollege von ihm, dessen Name ihm ebenfalls entfallen war – irgendwas mit Peter oder Roger – hatte am Morgen ein Geräusch aus dem Gebäude vernommen und stöhnte alle in der Nähe stehenden Zombies zusammen. Insgesamt waren es 23 und der kleine Zombie war einer davon.
Gemeinsam marschierten sie auf das Präsidium zu und versuchten an verschiedenen Stellen durchzubrechen. Viele von ihnen scheiterten an einer Barrikade aus alten Autowracks und einem fast vollständig ausgebrannten Schulbus. Den halben Nachmittag verbrachten sie damit an den Wracks zu zerren und zu stoßen, doch alles was sie damit erreichten waren ein paar zerberstende Fensterscheiben und die Aufmerksamkeit der Menschen zu wecken, die verstört und in Bedrängnis geraten auf die Untoten schossen. Altes, fast braunes Blut und Gehirn stoben durch die Luft, zerfetzte Schädel klafften in der prallen Sonne eines heißen Sommertages und immer wieder fiel einer der Zombies endgültig tot um und blieb auf dem blanken Asphalt liegen. Dem kleinen Zombie wurde das zu viel und so stapfte er ein wenig ungeduldig und von oben bis unten blutig eingesaut davon um an anderer Stelle das Futter zu erreichen. Aus der Stadt hörte er nun weitere Artgenossen, wie sie stöhnend und jaulend auf die Quelle der Schüsse zu marschierten. Das war dann wie der Winterschlussverkauf des Einkaufszentrums und der kleine Zombie war sich ziemlich sicher, dass für ihn mal wieder nur ein angenagter Knochen oder der Blinddarm eines Opfers übrig blieb, wenn die Horde das Gebäude erst einmal gestürmt hätte. Also verzog er sich zur Rückseite der Polizeistation und fand dort tatsächlich ein Loch im Zaun. Und dort passierte es dann. Hinter einem rostigen Ölfass kam wie aus der Pistole geschossen ein Mensch hervor und rannte Deckung suchend über den mit Müll übersäten Hinterhof. Hektisch drehte der kleine Zombie seinen verschrumpelten Schädel und blieb mit dem Ohr am Stacheldraht hängen, der aus dem Loch im Zaun ragte. Zack war das Ohr ab und das vermeintliche Opfer verschwunden.
Es gab eben Tage an denen ging alles schief aber der kleine Zombie ließ sich nicht entmutigen. Denn trotz langer Fastenzeiten und elend langen Wochen in denen sich kein Mensch in den Straßen der Stadt zeigte existierten die Untoten weiter. Sie konnten einfach nicht verhungern auch wenn es quälend und grausam war. So schleppten sie sich weiter auf der Suche nach dem lebenden, zuckenden Fleisch durch die Gassen, stöhnten in den Parkhäusern und standen in kleinen Gruppen auf öffentlichen Plätzen um sich von frechen Tauben anscheißen zu lassen. Der kleine Zombie mied solche Gruppen, denn dort wurde nur blöd vor sich hin gestöhnt und eine echte Diskussion über das Leben, den Tod oder die politischen Folgeschäden der Apokalypse kam nie zustande. Gut, er selbst hatte auch nicht viel dazu beizutragen, aber irgendwie machte er sich doch Gedanken. Die blieben zwar selten länger als zwei Sekunden hängen aber wenigstens dachte er noch, im Gegensatz zu den meisten seiner herum schlurfenden Mitzombies. Einen festen Gedanken zu bewahren fiel aber auch ihm schwer, dennoch verlor er sich selbst immer wieder in den letzten Erinnerungen die ihm verblieben. Und das waren eben jene Bilder seiner letzten Minuten als Lebender am Busbahnhof. Er wusste noch, dass er mit jemandem dort war, einer Frau die mit ihm in der Schlange am Schalter stand, wo sie auf ein Ticket raus aus der Stadt hofften. Doch es sah nicht gut aus. Es war nur noch ein Schalter offen und an den drängten sich tausende Menschen. Irgendwo über ihnen ertönte die Glocke einer Turmuhr, es war drei Uhr Nachmittags. Beim dritten Schlag wurde es unruhig in den hinteren Reihen. Soviel war dem kleinen Zombie noch gewahr, von da an zerriss das Band zur Wirklichkeit und einzig einige kleine Bildfetzen von Blut und schreienden Menschen blieben erhalten. Als er wieder aufstand war er tot und sein linker Unterarm fehlte, ebenso wie seine Armbanduhr und die Frau. Von da an wandelte er als lebende Leiche durch die Stadt und verbrachte seine Tage mit stöhnen und Menschen auflauern. Und wie gesagt, am Anfang war das alles noch recht einfach. Die Menschen rannten kopflos durch die Gegend und versuchten den untoten Horden zu entkommen. In den Straßen wimmelte es von Frischfleisch und der kleine Zombie musste nur die Hand ausstrecken um einen von ihnen zu erwischen. Es dauerte eine Weile bis er dafür die Rechte benutzte anstatt der fehlenden Linken, aber nach und nach gewöhnte er sich daran, auch wenn ihm in seiner Gier nach den Lebenden immer mal wieder Fehler unterliefen.
Die Zahl der Untoten nahm rasch zu und schon bald war die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes tot. Nur noch vereinzelt liefen die Menschen durch die Straßen oder versuchten in die Läden einzubrechen um sich mit dem Nötigsten einzudecken. Zu Beginn des Untergangs unterschätzten sie ihren untoten Gegner und so fielen weitere Menschen ihrer eigenen Dummheit zum Opfer. Doch die Überlebenden lernten dazu, wieder im Gegensatz zu den Zombies, die nur sehr langsam gewisse Umstände in ihren faulenden Gehirnen in logische Zusammenhänge setzen konnten. Somit waren die Lebenden gewissermaßen im Vorteil und die Jagd auf sie fiel den Untoten zunehmend schwerer. Allerdings blieben die Untoten in der Überzahl und den Überlebenden gingen zusehends die Vorräte aus. Also wagten sie sich immer tiefer in die Stadt um Geschäfte zu plündern, doch dort warteten schon die Zombies und machten ihnen den Garaus. Einige Gebäude konnten die Lebenden zwar für sich vereinnahmen aber das waren nur wenige. Und auch dort gab es nicht genug zu Essen für alle auf Dauer und so verirrten sich immer wieder kleine Kampfgruppen in den Straßen. Inzwischen hatten sie es wirklich drauf den Untoten an den Kragen zu gehen, oft auch ohne Schusswaffen denn inzwischen war auch Munition ein seltenes Gut. Der kleine Zombie ging diesen Gruppen so gut es eben ging aus dem Weg, doch ab und an kam auch er ihnen ausversehen zu nahe und bei einem dieser Vorfälle hätte er fast seinen Kopf verloren, im wahrsten Sinne des Wortes. Gedankenverloren stand er mal wieder vor dem alten Metzgerladen in einer der Seitengassen seiner alten Heimat – er war sich ziemlich sicher das er irgendwo in der Nähe gewohnt hatte als Lebender, aber seine alte Bude hatte er noch nicht ausfindig machen können – als hinter ihm vier Lebende auftauchten und ihn mir nichts dir nichts angriffen. Einer hatte eine Machete dabei und wollte dem kleinen Zombie mit einem Hieb den hohlen Schädel vom Rumpf trennen, doch kurz bevor der den vor sich hin stöhnenden Zombie erreichte stolperte er über eine grünspahnige alte Handtasche, die halb versunken im Dreck der Straße lag, und machte dabei ein sehr seltsames Quietschgeräusch. Der kleine Zombie schaute sich nach dem ungewöhnlichen Geräusch um, halb aus seiner Starre aufgeschreckt, und das rettete ihm sozusagen das untote Leben. Der junge Mann mit der Machete verfehlte ihn um einen knappen Zentimeter und legte sich mit dem Gesicht voraus der Länge nach hin. Die Machete rutschte ihm dabei aus den Fingern und schlidderte scheppernd durch den Müll der Straße. In den umliegenden Gassen und Gebäuden erwachten die Untoten und strömten stöhnend und nach Fleisch gierend auf die Straße und umringten die vier Angreifer. Den einen am Boden verspeisten sie als erstes und von der Gruppe Überlebender entkam am Ende nur ein einziger, der panisch quiekend davon lief und nie mehr gesehen wurde. Der kleine Zombie bekam natürlich nur die Reste ab, nachdem die Horde weiter gezogen war. Ein Ohr und die Fetzen einer Niere waren an diesem Tag sein Abendessen und das war reichlich enttäuschend.
Seitdem war der kleine Zombie noch besser auf der Hut und versteckte sich tagsüber in den dunkleren Ecken der Stadt. Ein halb zusammengebrochener Tunneleingang am Fluss diente ihm als Unterschlupf, vor allem nachdem er herausgefunden hatte, dass dort ab und an mal Menschen durchkamen um die Stadt oder die andere Seite zu erreichen. Bei Einzelexemplaren musste er nur im Schatten warten und zugreifen sobald der Mensch in Reichweite kam. Inzwischen hatte der kleine Zombie seine Methode perfektioniert, er griff jetzt immer direkt nach dem Oberarm des Opfers, zog es zu sich heran und rammte die Zähne in dessen Hals. Das ging recht fix vonstatten und ließ den Opfern kaum Zeit zum schreien, was gut war, denn jedes laute Geräusch würde weitere Untote anlocken und dann blieben dem kleinen Zombie wieder nur die Reste vom Festmahl. Bei mehreren Personen war er vorsichtiger und griff sich meist nur diejenigen, die entweder verletzt waren oder die Nachhut bildeten. Schwer bewaffneten Gruppen ging er grundsätzlich aus dem Weg, denn er hatte bisweilen oft genug dabei zusehen müssen, wie sie seine Kollegen dahin metzelten und Hackfleisch aus ihnen machten.
Doch das Gehirn eines Untoten funktioniert eben nicht immer so wie es sollte. Meist vergaß der kleine Zombie nach einigen Stunden der Einsamkeit einfach, was er gelernt hatte. Einiges blieb zwar dort, wo es sein sollte, was ihm den Alltag wesentlich erleichterte, aber insgesamt blieb er doch seiner untoten Natur treu. Es gab immer mal wieder Tage an denen er aus seiner Trance erwachte und nicht wusste wo er sich gerade befand. Seine glibberig gelben Augen rollten herum und doch erkannten sie nichts wieder. Ab und zu war es sogar soweit gekommen, dass er in der Nähe einer der Gebäude erwachte, die von Menschen eingenommen waren. Das war dann besonders unangenehm für den kleinen Zombie, vor allem wenn sie ihn entdeckten und anfingen auf seinen Kopf zu schießen. Bei solchen Gelegenheiten musste er schon so manche Haarsträhne einbüßen und seine eingeschrumpelte Kopfhaut war übersät von Narben und frischen Striemen. Nicht nur der allgemeine Zerfall machte ihm zu schaffen sondern auch sein mitgenommenes Gedächtnis spielte ihm immer mehr Streiche. Und so war es nur eine Frage der Zeit bis es ihn endgültig erwischte. Eines schönen Morgens stand der kleine Zombie erneut in seinen alten Erinnerungen versunken vor dem Metzgerladen und kaute auf einer Leber herum, die er in der Nacht einem Wanderprediger abgenommen hatte, der eine Straße weiter in ihn hinein gelaufen war. Der Prediger wollte noch mit seinem eindrucksvoll bemalten Schild zuschlagen, auf dem in neonfarbenen Lettern: „Das Ende ist nahe!“ geschrieben stand, doch der kleine Zombie war schneller und riss dem Mann mit einem einzigen kräftigen Ruck den rechten Arm aus der Schulter. Damit hatte selbst der kleine Zombie nicht gerechnet und so stolperte er vollkommen überrascht nach hinten und landete im Rinnstein. Der Prediger stand noch eine Weile aufrecht da, hielt sich mit der Linken die blutende Schulter und schrie wie am Spieß. Was natürlich weitere Zombies anlockte, aber die brauchten diesmal etwas länger, schließlich war ja Sonntag und viele von ihnen waren in der Kirche um die Ecke. Das war wie die Sache mit den Einkaufszentren eine Art verbliebener Ur-Instinkt. Sonntags ging man eben in die Kirche, den Rest der Woche verbrachte man in der Mall. So blieb dem kleinen Zombie genügend Zeit den Prediger auszuweiden und einige Erinnerungsstücke mitzunehmen. Unter anderem die Leber, auf der er jetzt herum kaute und selig dösend vor sich hin starrte. Und so blieb ihm die Anwesenheit einer kleinen Gruppe Überlebender verborgen, die den kleinen Zombie schon von weitem gehört hatten und ihn nun beobachteten. Sie hatten sich heimlich angeschlichen und in einem Geschäft für Damenunterwäsche verschanzt. Grinsend richteten sie ihre Gewehre auf den kleinen Zombie und horchten auf weitere Untote in der Nähe. Doch es war sonst niemand da und so holten die Menschen zum letzten Schlag gegen den kleinen Zombie aus. Hinter sich vernahm er ein leises Klicken und er wollte sich schon umdrehen um nachzuschauen. Doch das Verderben traf den kleinen Zombie in dem Moment als ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, gefolgt von einer Kugel Kaliber .45 die ihm den Schädel zerfetzte. Ein letztes, abrupt beendetes Stöhnen und der kleine Zombie ging zu Boden.
Armer kleiner Zombie, dabei wollte er doch nur noch ein wenig stöhnen und vor sich hin gammeln bis er eines Tages komplett auseinander fallen würde. Doch soweit kam es nicht und so stampften die Menschen achtlos über ihn hinweg, plünderten die Geschäfte und ließen ihn einfach liegen. Und so endet die Geschichte vom kleinen Zombie mit einem leisen Stöhnen und der Gewissheit, dass jeder irgendwann mal in den Arsch gekniffen wird.
Inspiriert von einem epischen Zombiegedicht von Jacen
Es war einmal und ist nicht mehr ein kleiner Zombie. Er wankte durch die tote Welt und stöhnte irgendwie gelangweilt vor sich hin, denn ansonsten hatten Zombies nicht viel zu tun. Ab und an erhaschte er den Hauch der Lebenden und folgte ihm, immer in der Hoffnung, dass sein ewiger Hunger nach frischem Fleisch heute gestillt würde. Doch meist vergeblich, die letzten noch lebenden Menschen, die sich auf der Suche nach Lebensmitteln und anderen für sie wichtigen Dingen in die Stadt wagten, hatten inzwischen gelernt, wie sie sich vor den Untoten verstecken und sich gegen sie zur Wehr setzen konnten. Dabei fing alles so gut an, es war noch gar nicht so lange her, obwohl der kleine Zombie kaum sagen konnte, ob es mehr als ein oder zwei Jahre waren. Zeit war inzwischen bedeutungslos für ihn, denn auch seine schäbige alte Seiko hatte er schon in den ersten Tagen des Weltuntergangs zusammen mit seinem linken Unterarm verloren. Das war irgendwo in der Nähe des Busbahnhofs, als der Exodus begann und alle aus der Stadt flüchten wollten. Wohin auch immer, denn die Untoten waren nahezu überall. Sein matschiges Gehirn erinnerte sich nur noch schemenhaft an die Ereignisse, denn meist reichte sein angeschrammtes Gedächtnis nur bis zum letzten Mittagessen.
Vereinzelt aufblitzende Bilder flammten immer wieder auf, wenn er in einer ruhigen Minute – und davon hatte er inzwischen mehr als genug – an irgendeiner Straßenecke stand und leise vor sich hin stöhnte. Im Gegensatz zu den meisten anderen seiner Artgenossen war er lieber allein unterwegs um ausgiebig zu stöhnen und stundenlang ein abgeknicktes Straßenschild anzuglotzen. So ganz verstand er den Herdentrieb seiner Kollegen nicht, denn je mehr Zombies aufeinander trafen, desto weniger Futter blieb für den einzelnen übrig. Allerdings war die Menschenjagd im Rudel weitaus effektiver, das musste er neidlos zugeben. Als einzelner Zombie einen zappelnden und rennenden Menschen zu erwischen war schwierig, doch einige verirrten sich haltlos in den Straßenschluchten und dunklen Kellern der Stadt und oftmals tappten sie vollkommen unbedarft in die ausgebreiteten Arme des kleinen Zombies, auch wenn ihm die Sache mit dem linken Unterarm immer wieder zu schaffen machte. Als Lebender war er Linkshänder gewesen und das führte er nach dem Tode fort, so dass er einfach ständig vergaß, dass seine linke Hand nicht mehr vorhanden war um nach dem Fleisch der Lebenden zu greifen. Eine wirklich blöde und peinliche Situation, die vereinzelt von der Panik befreite Opfer schamlos ausnutzten und links an ihm vorbei huschten. Das waren allerdings Ausnahmefälle, meist gelang es den ängstlich erstarrten Menschen nicht der Klaue und den schnappenden Zähnen des kleinen Zombies zu entkommen. Immerhin hatte er noch alle Zähne, auch wenn ihm ansonsten allmählich die Gliedmaßen und Körperteile abhanden kamen. Nach und nach faulte alles weg, letzte Woche erst hatte er sein rechtes Ohr verloren als er ein wenig missmutig durch die Gegend wankte und an einem Stacheldrahtzaun beim Polizeipräsidium hängen blieb, in dem sich einige Lebende verschanzt hatten. Ein alter Kollege von ihm, dessen Name ihm ebenfalls entfallen war – irgendwas mit Peter oder Roger – hatte am Morgen ein Geräusch aus dem Gebäude vernommen und stöhnte alle in der Nähe stehenden Zombies zusammen. Insgesamt waren es 23 und der kleine Zombie war einer davon.
Gemeinsam marschierten sie auf das Präsidium zu und versuchten an verschiedenen Stellen durchzubrechen. Viele von ihnen scheiterten an einer Barrikade aus alten Autowracks und einem fast vollständig ausgebrannten Schulbus. Den halben Nachmittag verbrachten sie damit an den Wracks zu zerren und zu stoßen, doch alles was sie damit erreichten waren ein paar zerberstende Fensterscheiben und die Aufmerksamkeit der Menschen zu wecken, die verstört und in Bedrängnis geraten auf die Untoten schossen. Altes, fast braunes Blut und Gehirn stoben durch die Luft, zerfetzte Schädel klafften in der prallen Sonne eines heißen Sommertages und immer wieder fiel einer der Zombies endgültig tot um und blieb auf dem blanken Asphalt liegen. Dem kleinen Zombie wurde das zu viel und so stapfte er ein wenig ungeduldig und von oben bis unten blutig eingesaut davon um an anderer Stelle das Futter zu erreichen. Aus der Stadt hörte er nun weitere Artgenossen, wie sie stöhnend und jaulend auf die Quelle der Schüsse zu marschierten. Das war dann wie der Winterschlussverkauf des Einkaufszentrums und der kleine Zombie war sich ziemlich sicher, dass für ihn mal wieder nur ein angenagter Knochen oder der Blinddarm eines Opfers übrig blieb, wenn die Horde das Gebäude erst einmal gestürmt hätte. Also verzog er sich zur Rückseite der Polizeistation und fand dort tatsächlich ein Loch im Zaun. Und dort passierte es dann. Hinter einem rostigen Ölfass kam wie aus der Pistole geschossen ein Mensch hervor und rannte Deckung suchend über den mit Müll übersäten Hinterhof. Hektisch drehte der kleine Zombie seinen verschrumpelten Schädel und blieb mit dem Ohr am Stacheldraht hängen, der aus dem Loch im Zaun ragte. Zack war das Ohr ab und das vermeintliche Opfer verschwunden.
Es gab eben Tage an denen ging alles schief aber der kleine Zombie ließ sich nicht entmutigen. Denn trotz langer Fastenzeiten und elend langen Wochen in denen sich kein Mensch in den Straßen der Stadt zeigte existierten die Untoten weiter. Sie konnten einfach nicht verhungern auch wenn es quälend und grausam war. So schleppten sie sich weiter auf der Suche nach dem lebenden, zuckenden Fleisch durch die Gassen, stöhnten in den Parkhäusern und standen in kleinen Gruppen auf öffentlichen Plätzen um sich von frechen Tauben anscheißen zu lassen. Der kleine Zombie mied solche Gruppen, denn dort wurde nur blöd vor sich hin gestöhnt und eine echte Diskussion über das Leben, den Tod oder die politischen Folgeschäden der Apokalypse kam nie zustande. Gut, er selbst hatte auch nicht viel dazu beizutragen, aber irgendwie machte er sich doch Gedanken. Die blieben zwar selten länger als zwei Sekunden hängen aber wenigstens dachte er noch, im Gegensatz zu den meisten seiner herum schlurfenden Mitzombies. Einen festen Gedanken zu bewahren fiel aber auch ihm schwer, dennoch verlor er sich selbst immer wieder in den letzten Erinnerungen die ihm verblieben. Und das waren eben jene Bilder seiner letzten Minuten als Lebender am Busbahnhof. Er wusste noch, dass er mit jemandem dort war, einer Frau die mit ihm in der Schlange am Schalter stand, wo sie auf ein Ticket raus aus der Stadt hofften. Doch es sah nicht gut aus. Es war nur noch ein Schalter offen und an den drängten sich tausende Menschen. Irgendwo über ihnen ertönte die Glocke einer Turmuhr, es war drei Uhr Nachmittags. Beim dritten Schlag wurde es unruhig in den hinteren Reihen. Soviel war dem kleinen Zombie noch gewahr, von da an zerriss das Band zur Wirklichkeit und einzig einige kleine Bildfetzen von Blut und schreienden Menschen blieben erhalten. Als er wieder aufstand war er tot und sein linker Unterarm fehlte, ebenso wie seine Armbanduhr und die Frau. Von da an wandelte er als lebende Leiche durch die Stadt und verbrachte seine Tage mit stöhnen und Menschen auflauern. Und wie gesagt, am Anfang war das alles noch recht einfach. Die Menschen rannten kopflos durch die Gegend und versuchten den untoten Horden zu entkommen. In den Straßen wimmelte es von Frischfleisch und der kleine Zombie musste nur die Hand ausstrecken um einen von ihnen zu erwischen. Es dauerte eine Weile bis er dafür die Rechte benutzte anstatt der fehlenden Linken, aber nach und nach gewöhnte er sich daran, auch wenn ihm in seiner Gier nach den Lebenden immer mal wieder Fehler unterliefen.
Die Zahl der Untoten nahm rasch zu und schon bald war die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes tot. Nur noch vereinzelt liefen die Menschen durch die Straßen oder versuchten in die Läden einzubrechen um sich mit dem Nötigsten einzudecken. Zu Beginn des Untergangs unterschätzten sie ihren untoten Gegner und so fielen weitere Menschen ihrer eigenen Dummheit zum Opfer. Doch die Überlebenden lernten dazu, wieder im Gegensatz zu den Zombies, die nur sehr langsam gewisse Umstände in ihren faulenden Gehirnen in logische Zusammenhänge setzen konnten. Somit waren die Lebenden gewissermaßen im Vorteil und die Jagd auf sie fiel den Untoten zunehmend schwerer. Allerdings blieben die Untoten in der Überzahl und den Überlebenden gingen zusehends die Vorräte aus. Also wagten sie sich immer tiefer in die Stadt um Geschäfte zu plündern, doch dort warteten schon die Zombies und machten ihnen den Garaus. Einige Gebäude konnten die Lebenden zwar für sich vereinnahmen aber das waren nur wenige. Und auch dort gab es nicht genug zu Essen für alle auf Dauer und so verirrten sich immer wieder kleine Kampfgruppen in den Straßen. Inzwischen hatten sie es wirklich drauf den Untoten an den Kragen zu gehen, oft auch ohne Schusswaffen denn inzwischen war auch Munition ein seltenes Gut. Der kleine Zombie ging diesen Gruppen so gut es eben ging aus dem Weg, doch ab und an kam auch er ihnen ausversehen zu nahe und bei einem dieser Vorfälle hätte er fast seinen Kopf verloren, im wahrsten Sinne des Wortes. Gedankenverloren stand er mal wieder vor dem alten Metzgerladen in einer der Seitengassen seiner alten Heimat – er war sich ziemlich sicher das er irgendwo in der Nähe gewohnt hatte als Lebender, aber seine alte Bude hatte er noch nicht ausfindig machen können – als hinter ihm vier Lebende auftauchten und ihn mir nichts dir nichts angriffen. Einer hatte eine Machete dabei und wollte dem kleinen Zombie mit einem Hieb den hohlen Schädel vom Rumpf trennen, doch kurz bevor der den vor sich hin stöhnenden Zombie erreichte stolperte er über eine grünspahnige alte Handtasche, die halb versunken im Dreck der Straße lag, und machte dabei ein sehr seltsames Quietschgeräusch. Der kleine Zombie schaute sich nach dem ungewöhnlichen Geräusch um, halb aus seiner Starre aufgeschreckt, und das rettete ihm sozusagen das untote Leben. Der junge Mann mit der Machete verfehlte ihn um einen knappen Zentimeter und legte sich mit dem Gesicht voraus der Länge nach hin. Die Machete rutschte ihm dabei aus den Fingern und schlidderte scheppernd durch den Müll der Straße. In den umliegenden Gassen und Gebäuden erwachten die Untoten und strömten stöhnend und nach Fleisch gierend auf die Straße und umringten die vier Angreifer. Den einen am Boden verspeisten sie als erstes und von der Gruppe Überlebender entkam am Ende nur ein einziger, der panisch quiekend davon lief und nie mehr gesehen wurde. Der kleine Zombie bekam natürlich nur die Reste ab, nachdem die Horde weiter gezogen war. Ein Ohr und die Fetzen einer Niere waren an diesem Tag sein Abendessen und das war reichlich enttäuschend.
Seitdem war der kleine Zombie noch besser auf der Hut und versteckte sich tagsüber in den dunkleren Ecken der Stadt. Ein halb zusammengebrochener Tunneleingang am Fluss diente ihm als Unterschlupf, vor allem nachdem er herausgefunden hatte, dass dort ab und an mal Menschen durchkamen um die Stadt oder die andere Seite zu erreichen. Bei Einzelexemplaren musste er nur im Schatten warten und zugreifen sobald der Mensch in Reichweite kam. Inzwischen hatte der kleine Zombie seine Methode perfektioniert, er griff jetzt immer direkt nach dem Oberarm des Opfers, zog es zu sich heran und rammte die Zähne in dessen Hals. Das ging recht fix vonstatten und ließ den Opfern kaum Zeit zum schreien, was gut war, denn jedes laute Geräusch würde weitere Untote anlocken und dann blieben dem kleinen Zombie wieder nur die Reste vom Festmahl. Bei mehreren Personen war er vorsichtiger und griff sich meist nur diejenigen, die entweder verletzt waren oder die Nachhut bildeten. Schwer bewaffneten Gruppen ging er grundsätzlich aus dem Weg, denn er hatte bisweilen oft genug dabei zusehen müssen, wie sie seine Kollegen dahin metzelten und Hackfleisch aus ihnen machten.
Doch das Gehirn eines Untoten funktioniert eben nicht immer so wie es sollte. Meist vergaß der kleine Zombie nach einigen Stunden der Einsamkeit einfach, was er gelernt hatte. Einiges blieb zwar dort, wo es sein sollte, was ihm den Alltag wesentlich erleichterte, aber insgesamt blieb er doch seiner untoten Natur treu. Es gab immer mal wieder Tage an denen er aus seiner Trance erwachte und nicht wusste wo er sich gerade befand. Seine glibberig gelben Augen rollten herum und doch erkannten sie nichts wieder. Ab und zu war es sogar soweit gekommen, dass er in der Nähe einer der Gebäude erwachte, die von Menschen eingenommen waren. Das war dann besonders unangenehm für den kleinen Zombie, vor allem wenn sie ihn entdeckten und anfingen auf seinen Kopf zu schießen. Bei solchen Gelegenheiten musste er schon so manche Haarsträhne einbüßen und seine eingeschrumpelte Kopfhaut war übersät von Narben und frischen Striemen. Nicht nur der allgemeine Zerfall machte ihm zu schaffen sondern auch sein mitgenommenes Gedächtnis spielte ihm immer mehr Streiche. Und so war es nur eine Frage der Zeit bis es ihn endgültig erwischte. Eines schönen Morgens stand der kleine Zombie erneut in seinen alten Erinnerungen versunken vor dem Metzgerladen und kaute auf einer Leber herum, die er in der Nacht einem Wanderprediger abgenommen hatte, der eine Straße weiter in ihn hinein gelaufen war. Der Prediger wollte noch mit seinem eindrucksvoll bemalten Schild zuschlagen, auf dem in neonfarbenen Lettern: „Das Ende ist nahe!“ geschrieben stand, doch der kleine Zombie war schneller und riss dem Mann mit einem einzigen kräftigen Ruck den rechten Arm aus der Schulter. Damit hatte selbst der kleine Zombie nicht gerechnet und so stolperte er vollkommen überrascht nach hinten und landete im Rinnstein. Der Prediger stand noch eine Weile aufrecht da, hielt sich mit der Linken die blutende Schulter und schrie wie am Spieß. Was natürlich weitere Zombies anlockte, aber die brauchten diesmal etwas länger, schließlich war ja Sonntag und viele von ihnen waren in der Kirche um die Ecke. Das war wie die Sache mit den Einkaufszentren eine Art verbliebener Ur-Instinkt. Sonntags ging man eben in die Kirche, den Rest der Woche verbrachte man in der Mall. So blieb dem kleinen Zombie genügend Zeit den Prediger auszuweiden und einige Erinnerungsstücke mitzunehmen. Unter anderem die Leber, auf der er jetzt herum kaute und selig dösend vor sich hin starrte. Und so blieb ihm die Anwesenheit einer kleinen Gruppe Überlebender verborgen, die den kleinen Zombie schon von weitem gehört hatten und ihn nun beobachteten. Sie hatten sich heimlich angeschlichen und in einem Geschäft für Damenunterwäsche verschanzt. Grinsend richteten sie ihre Gewehre auf den kleinen Zombie und horchten auf weitere Untote in der Nähe. Doch es war sonst niemand da und so holten die Menschen zum letzten Schlag gegen den kleinen Zombie aus. Hinter sich vernahm er ein leises Klicken und er wollte sich schon umdrehen um nachzuschauen. Doch das Verderben traf den kleinen Zombie in dem Moment als ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, gefolgt von einer Kugel Kaliber .45 die ihm den Schädel zerfetzte. Ein letztes, abrupt beendetes Stöhnen und der kleine Zombie ging zu Boden.
Armer kleiner Zombie, dabei wollte er doch nur noch ein wenig stöhnen und vor sich hin gammeln bis er eines Tages komplett auseinander fallen würde. Doch soweit kam es nicht und so stampften die Menschen achtlos über ihn hinweg, plünderten die Geschäfte und ließen ihn einfach liegen. Und so endet die Geschichte vom kleinen Zombie mit einem leisen Stöhnen und der Gewissheit, dass jeder irgendwann mal in den Arsch gekniffen wird.